Blumen der Liebe bring ich dir ans Grab, weil ich dir sonst nichts mehr schenken vermag, steh ich am Ort, der die neue Heimat nun ist, fühl ich, wie schmerzlich mein Herz dich vermisst.
Zünde ein Licht der Liebe dir an, bete für dich und verlasse dich dann.
Tränen der Trauer, die machen mich blind, dass ich das Licht der Liebe kaum find. Nur noch ein Blick nach dem traurigen Ort, muss dich verlassen, muss von dir fort, Tränen und Trauer, die nehm ich mit mir, doch meine Liebe bleibt immer bei dir.
Mein geliebter Christian,
ich würde deinen Garten nicht als deine neue Heimat bezeichnen. Was wissen wir Menschen denn schon, welche Heimat uns nach dem Tod erwartet, oder ob es überhaupt eine Heimat geben wird? Das sind Fragen, die vor allem jene Menschen beschäftigen, die einen Lieben missen. Die Hoffnung auf ein Wiedersehen in einer anderen Welt ist groß. Allein der Glaube fällt schwer. Ich war nie ein sonderlich gläubiger Mensch. Seit du nicht mehr bist, fällt es mir allerdings immer schwerer, an ein Leben nach dem Tod zu glauben. Zu schön ist die Vorstellung, dich in einer anderen Welt wiederzusehen.
Vielmehr ist dein Garten, der Ort, an dem ich komme und mit dir Zwiesprache halte. Es ist ein Ort, auf dem dein schöner Name aufscheint, der mir so gut gefallen hat und ein Ort, der andere Menschen an dich erinnern soll und ein Ort, an dem Vorbeigehende dir einen guten Gedanken widmen können. Ein Ort, an dem die Blumen blühen und viele Lichter für dich brennen, wo immer du jetzt auch bist.
Nachdem ich mich einigermaßen gefasst hatte, habe ich mich auf den Weg gemacht, um dir einen Grabstein auszusuchen. Es sollte ein schöner Grabstein für dich werden und vor allem das zum Ausdruck bringen, was dein Leben ausgemacht hat. Dafür wollte ich mir Zeit nehmen und so habe ich einige Steinmetze aufgesucht und meine Vorstellungen besprochen. Das waren harte Wege. Schweren Herzens bin ich durch die Schauräume und es hat mich oft geschüttelt bei dem Gedanken, dass ich gerade dabei war, einen Grabstein für dich, mein lieber Sohn, auszusuchen. Die Guggenberger-Sagzahnschmiede-Steinmetzbetrieb hat mit ihrem Entwurf am ehesten das getroffen, was ich mir vorgestellt hatte. Und die Gespräche mit Frau Guggenberger haben etwas Tröstendes gehabt. Sie hat sich immer Zeit genommen für einen kurzen Plausch, auch einmal etwas Persönliches über sich erzählt und man hatte nie den Eindruck, dass man zur unpassenden Zeit kommt. Und wir sind oft gekommen. Mir war ganz wichtig, dass ich bei der Entstehung deines Grabsteines dabei sein kann. An einem Nachmittag wurde das Wesentliche angefertigt, nämlich das Symbol unseres Lebens – der Weg in den Wald. Ein sehr empathischer Mitarbeiter hat mir, während er an der Arbeit war, genau erklärt, was er macht und mir immer wieder versichert, dass es so werden wird, wie ich mir das vorgestellt hatte. Diese einfühlsame Art tat gut, denn seit du nicht mehr bist, bin ich sensibler geworden. Rohe und gefühllose Menschen muss ich meiden. Ich habe ja meinen Halt verloren und so sind ein freundliches Wort, eine liebevolle Geste oder ein echt mitfühlender Blick Balsam auf der Seele.
Ich danke allen Mitarbeitern der Firma Sagzahnschmiede Guggenberger in Kramsach für den Grabstein. Er bedeutet mir so viel.
Dein Holzkreuz, mit dem ich dich zu Grabe tragen musste, habe ich auf deinen Balkon in einen großen Blumentopf mit Blumen gestellt und auch hier brennen Lichter für dich. Ich möchte dieses Kreuz so restaurieren lassen, dass es ewig hält. Da ist mir der Einfall gekommen, dass ich es in die Form eines Marterls einarbeiten lasse, weil du diese Wegkreuze so gerne mochtest. Und wenn ich dich am Abend einmal nicht besuchen gehen kann, brauche ich nicht traurig zu sein. Dann besuche ich dich am Balkon.
Deine Oma ist nun schon über 20 Jahre tot und ich habe auch ihr Grab immer ordentlich hergerichtet, wenn auch nicht annähernd mit der Liebe, wie ich es für dich mache. In den letzten Jahren bin ich aber immer weniger auf ihr Grab, um es herzurichten und seit du nicht mehr bist, will ich gar nicht mehr dorthin. Es liegt nicht nur an der Entfernung; ich kann nicht einmal den Grund nennen, ihn nicht einmal fühlen. Es geht nicht mehr und so war es ein mehr oder weniger verwaistes Grab. Das hat sich deine Oma nicht verdient. So habe ich mir überlegt, sie zu dir zu holen und mit einer Inschrift auf deinem Grabstein ein Andenken an sie zu schaffen. Es könnte nirgends besser hinpassen als zu dir – ihr wart ein Herz und eine Seele. Wir haben probiert, wo es am besten hinpassen könnte, sind aber zu keiner passenden Lösung gekommen. Nun habe ich mir etwas anderes überlegt und auch das ist gerade in Auftrag. Der Steinmetz wird ein Buch anfertigen; auch ein Symbol, das auf euch beide passt. Dich ohne Buch, ganz genau genommen ohne Bilderbuch in der Hand, war unvorstellbar und auch deine Oma war so belesen. Deiner Tante Irene habe ich den Vorschlag gemacht, das Grab ganz aufzulassen, was sie aber nicht wollte. Nun hat sie die Grabpflege deiner Oma übernommen, was zugegebenermaßen wirklich nicht einfach ist mit der großen Entfernung zwischen Tirol und Vorarlberg. Aber es ist ihr ein Anliegen und es ist gut so.
Unser Leben war bestimmt von Ritualen und so war es für mich bedeutsam, dass ich wiederum Rituale mit dir beibehalte. Meine Besuche zu dir, zu deinem Garten, strukturieren meinen Tag. Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, jeden Abend noch vor dem Schließen des Friedhofs zu dir zu kommen, um dir „Gute Nacht“ zu sagen. Im Laufe der Monate haben sich feststehende Zeiten eingebürgert. So komme ich noch vor Schulbeginn am Morgen und begrüße mit dir den neuen Tag. Am Vormittag, wenn ich eine Freistunde habe, freue ich mich schon, um ganz kurz zu dir zu kommen und nach dem Rechten zu sehen. Ich erzähle dir von meinen Erlebnissen und zupfe an deinen Blumen, streife um deinen Grabstein herum und schaue, ob wohl alles in Ordnung ist und werfe dir einen Kuss zu, wenn ich wieder weg muss. Nach Unterrichtsschluss radle ich wiederum zu dir und kann bei dir in Ruhe verweilen. Nur am Abend hat sich eine Veränderung ergeben. Ich schaue, dass ich so spät wie möglich komme und dennoch so früh, dass ich den Friedhofswärtern, die das Tor schließen, nicht begegnen muss. Ich bin ihnen ein Dorn im Auge. Habe ich doch mehr Blumen hingestellt als es die Norm erlaubt. Und nachdem ich verletzlich geworden bin und ich mit einem guten Gefühl den ohnehin traurigen Ort verlassen möchte, stelle ich einer Begegnung aus. Ansonsten treffe ich immer die gleichen Leute und die kurzen Gespräche tun gut. Nicht etwa, weil es mich trösten könnte, wenn eine Mutter erzählt, dass auch sie ihr Kind gehen lassen musste, sondern weil es keine Worte braucht für die Gefühle, die den Tag bestimmen.